Ridepooling als Ergänzung des Verkehrssystems
„Wie kann Ridepooling in das bestehende Verkehrssystem einer Region integriert werden, welches sowohl die Stadt Graz als auch ihr Umland miteinander verbindet? Das war die Ausgangsfrage, mit der wir Anfang des Jahres 2023 das Projekt zur simulativen Bewertung von Ridepooling im Steirischen Zentralraum gestartet haben”, sagt Anna Reichenberger, Bereichsleiterin Mobilität und Verkehrslösungen beim Regionalmanagement Steirischer Zentralraum. Sie ist für das zentrale Thema Verkehr in der Region zuständig.
Elena Just-Moczygemba, Stabstellenleitung Koordination Mobilität & Freizeit bei der Holding Graz, erklärt: „Die Graz-Linien betreiben den öffentlichen Verkehr in Graz und haben bereits ein integriertes Mobilitätsangebot namens tim (täglich.intelligent.mobil) aufgebaut, das den Linienverkehr um Mobilitätsdienstleistungen wie z.B. (e-)Carsharing, Mietwagenservices und e-Taxis, ergänzt. Unsere Kernaufgabe ist es, den Öffentlichen Verkehr in Graz zu betreiben und nach Auftrag durch die Stadt Graz zusätzliche öffentlich zugängliche Mobilitätsangebote bereitzustellen, sie zu verbessern und auszuweiten, sodass die Menschen auf ihren eigenen PKW verzichten und trotzdem mobil sein können. Daher denken wir über sinnvolle Ridepooling-Konzepte nach.”
Die Ausgangssituation: Graz und Besonderheiten der Umgebung
Im Steirischen Zentralraum, zu dem außer der Stadt Graz auch die Bezirke Graz-Umgebung und Voitsberg gehören, leben mehr als 500.000 Einwohner*innen. Wer die Region kennt, weiß um die Kessellage und die städtebauliche Herausforderung, dass die Stadt Graz nur in Richtung Süden wachsen kann. Charakteristisch sind außerdem die starken Verkehrsverflechtungen mit starken Pendelbewegungen aus dem Umland. Trotz unterschiedlicher Raumstrukturen zwischen der Stadt und den Bezirken galt es, die Verkehrsmittel im Lebens-, Erholungs- und Arbeitsraum der Menschen möglichst effizient zu gestalten und flexibel zu kombinieren.
Die Region verfügt bereits über mehrere On-Demand-Systeme: Diese sind derzeit in 42 von 52 Kommunen als Zubringer zum öffentlichen Verkehr bzw. als flächendeckende Mobilitätslösung in vorwiegend ländlich geprägten Teilen der Region in Betrieb. Dazu zählen auch drei Grazer Stadtrandbereiche, die weniger engmaschig vom öffentlichen Linienverkehr erschlossen sind. Das bedeutet, dass die Verkehre kleinteilig in abgegrenzten Gebieten unterwegs sind und daher kein zusammenhängendes Angebot darstellen.
Das Ziel: Ein flächendeckendes Mobilitätsangebot schaffen
Die bisherigen Bemühungen der Region im Bereich geteilter Mobilitätsangebote bildeten eine wichtige Grundlage, die MOIA durch die Expertise für flächendeckendes Ridepooling ergänzte. „Ein regionsweites Ridepooling-Angebot ist für die Kund*innen komfortabler und gleichzeitig effizienter als individuelle Systeme einzelner Gemeinden. Dabei geht es darum, eine sogenannte `seamless mobility` zu schaffen, die es für die Menschen einfacher macht, auf den eigenen Pkw zu verzichten und auch nicht klassische ÖV-Nutzer*innen anspricht“, sagt Elena Just-Moczygemba. Um die Verkehrsbelastungen weiter zu reduzieren, war es für die Region wichtig, im Bereich des Ridepoolings Know-How aufzubauen und konkrete, bedarfsorientierte, innovative Lösungen zu untersuchen.
Der Prozess: Nachfrage modellieren & Szenarien simulieren
Für das Projekt konnten wir auf die Unterstützung der Organisationsberatung Quintessenz und der Technischen Universität Graz bauen, die neben ihrer lokalen Expertise im Steirischen Zentralraum Mobilitätsdaten und Fachwissen zu neuen und geteilten Mobilitätsformen einbrachten. Darüber hinaus wurden Expert*innen des Regionalmanagements, der Stadt Graz sowie der Holding Graz regelmäßig in den Projektvorgang eingebunden.
Zunächst wurde auf Basis vergangener Befragungen im Steirischen Zentralraum und Hamburg aufgezeigt, welchen Nutzen Ridepooling für verschiedene Personengruppen hat. Basierend auf Daten wie Einwohner*innenzahlen, Jobdaten oder Aktivitätenorten wie Gastronomiebetriebe wurde die Nachfrage nach Ridepooling in der Untersuchungsregion zeitlich und räumlich differenziert ermittelt. Durch MOIAs Ridepoolingsimulationen wurden die Servicequalität (Wartezeiten, Umwege), die Serviceeffizienz (Fahrten pro Stunde pro Fahrzeug, Besetzungsgrad) sowie die Auswirkungen auf Stadt und Verkehr (Leerfahrten, Gesamtkilometer) quantifiziert.
Mithilfe unseres Mobility Impact Analyzers MIA werden alle Resultate der modellgestützten Analysen visualisiert und für Auftraggeber und Stakeholder in Stadt und Region anfassbar gemacht. Die Simulationsergebnisse mehrerer Mobilitätsszenarien können damit flexibel für vorgegebene Gebiete detailliert gefiltert, ausgewertet und im tageszeitlichen Verlauf betrachtet werden. Unsere Mobility Analytics Expert*innen erweitern die Analysen um Erfahrungen aus dem MOIA-Betrieb, verkehrliche Expertise und den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen.
Das Ergebnis: Quantifizierung von Nachfrage und Serviceausprägungen
Felix Zwick, der als Mobility Analytics Lead bei MOIA das Projekt begleitet hat, zieht für das Projekt folgendes Fazit: „Die umfassende Bewertung von Ridepooling zeigt auf, dass Ridepooling für viele Personengruppen eine wertvolle Ergänzung zum klassischen ÖPNV darstellen kann. Die modellgestützten Simulationen quantifizieren die potenzielle Nachfrage und zeigen auf, wie der Service ausgestaltet werden sollte, um das Mobilitätssystem in der Region zielgerichtet zu verbessern. Neben einem attraktiven Service achten wir vor allem auf einen effizienten Service, um die Wirtschaftlichkeit zu gewährleisten. In Randgebieten muss der Service stärker subventioniert werden als im Grazer Zentrum, erfüllt dort allerdings auch ganz andere Ziele, wie z.B. die Grundversorgung mit Mobilität.”
„Eine Integration der bestehenden tim-Mobilitätsstationen wurde genauso wie das bestehende ÖV-Netzwerk in die Bewertung mit einbezogen. So können die bestehenden Strukturen bestmöglich genutzt werden und ein System geschaffen werden, welches den Besitz eines Privat-Pkws für viele Personen obsolet macht. Für die Auftraggeber*innen zeigte die Analyse, dass auch das Design der Customer Journey sowie die Qualität des Ridepooling-Fahrzeugs nicht zu unterschätzen sind.”
Der nächste Schritt zur Umsetzung
„Durch die Zusammenarbeit mit MOIA haben wir neue, interessante Einblicke in das Thema Ridepooling und die Gestaltung der Customer Journey mit dem Fokus auf Entspannung bekommen“, ergänzt Elena Just-Moczygemba. Es sei überraschend gewesen, welch wichtige Rolle auch das Fahrzeugmodell für ein Ridepooling Angebot spiele, ergänzt Anna Reichenberger. „Der Hamburger Prototyp überzeugt durch seinen Platz, seine Eleganz und kund*innenfreundliche, private Innengestaltung. Es wird sehr herausfordernd sein, einen Fahrzeugtyp zu finden, der diese - so ausschlaggebende - Qualität erreichen kann.“
Als nächsten Schritt werden die Holding Graz und das Regionalmanagement Steirischer Zentralraum die Ergebnisse vertiefen, um sich der möglichen Umsetzung eines stadtregionalen Ridepooling-Dienstes unter Einbindung aller regionalen Stakeholder weiter anzunähern. „Die Möglichkeit der Modellierung und Simulation von Ridepooling im bestehenden Verkehrssystem ist für uns durch die Praxisnähe der größte Anreiz für das Projekt gewesen“, sagt Anna Reichenberger. „Kombiniert mit den wertvollen Erfahrungen, die wir aus Hamburg mitnehmen durften, fällt es einem nun viel leichter, sich einen Betrieb in der eigenen Stadt und Region vorstellen zu können.“