Jeden Tag fährt er mit dem Rad zur Arbeit. Ein eigenes Auto hat Prof. Dr. Jochen Eckart nicht. Wenn er eines benötigt, setzt er auf Carsharing. „Was ich wirklich nicht mehr brauche, ist ein privates Auto und das gar nicht so sehr aus ideologischen Gründen, sondern wirklich aus Komfortgründen. Man sucht andauernd Parkplätze, es muss andauernd in die Werkstatt, es kostet eine Menge Geld – da kann ich wirklich drauf verzichten.“
Herr Eckart, Sie haben als Wissenschaftler mit Ihrem Team an der ARD-Mitmachaktion #besserBahnfahren mitgewirkt und die Befragungen von fast 6.000 Nutzenden des ÖPNV in Deutschland ausgewertet. Demnach sind Zuverlässigkeit, Taktdichte, Fahr- und Wartezeit sowie der Fahrpreis die wichtigsten Kriterien der Deutschen bei der Wahl des Verkehrsmittels. Welches der Ergebnisse hat Sie dabei am meisten überrascht?
Zwei davon: Dass Zuverlässigkeit wichtig ist, war uns klar, aber es hat eine sehr dominante Bedeutung. Insbesondere bei den Personen, die gegenwärtig schon den ÖPNV nutzen, ist Zuverlässigkeit das wichtigste Kriterium. Außerdem waren wir überrascht, dass das Thema Kosten offensichtlich an Bedeutung verloren hat. In anderen Befragungen taucht es an zweiter oder dritter Stelle auf – in unserer an fünfter Stelle. Ich denke, dass das eine der Auswirkungen des Deutschlandtickets ist, weil der ÖPNV dadurch für Dauerkartenbesitzer günstiger geworden ist.
Das Auto wird im Vergleich zum ÖPNV oftmals als praktischer, weil flexibler und zuverlässiger, wahrgenommen. Konkurriert der ÖPNV immer noch mit dem PKW?
Ich sehe das Auto als individuelles Transportmittel, das nicht allein dem ÖPNV gegenübersteht, sondern dem gesamten Umweltverbund, also der Kombination aus ÖPNV, Fahrrad und zu Fuß gehen. Und hier finde ich, dass der ÖPNV, trotz der bekannten Mängel wie der fehlenden Zuverlässigkeit, schon attraktiv ist. Es gibt Untersuchungen, in denen herausgekommen ist, dass für etwa ein Drittel aller Fahrten, die gegenwärtig mit dem Auto gemacht werden, eigentlich auch unter heutigen Bedingungen bereits eine attraktive Alternative besteht - sei es ÖV, sei es Fahrrad oder was auch immer. Und diese einzelnen Fahrten wären heute eigentlich schon verlagerbar, ohne dass etwas anderes ausgebaut werden muss.
Muss das Auto unattraktiver, sprich teurer in Anschaffung und Haltung werden, damit der ÖPNV bzw. der Umweltverbund an Attraktivität gewinnt?
Das haben wir in der Befragung zu #BesserBahnfahren nicht gefragt. Aber aus anderen Untersuchungen wissen wir, dass das, was wir fördern wollen, attraktiver gemacht und das, was wir weniger fördern wollen, weniger attraktiv gemacht werden muss. Diese Kombination hat immer die besten Umsteuereffekte. Das weckt aber bei einigen Personen auch das Gefühl, ihnen etwas wegnehmen zu wollen. Dadurch, dass für ein Drittel aller Autofahrten im Grunde schon eine Alternative besteht, sehe ich hier Potenzial, anzusetzen und diese zu ersetzen. Doch für dieses Umdenken braucht es einen leichten Stups wie beispielsweise an die gestiegenen Kosten oder die lästige Parkplatzsuche zu erinnern.
Mit dem Deutschland-Ticket wurde eine einheitliche Preisstruktur für den ÖPNV in ganz Deutschland geschaffen. Trotzdem unterscheidet sich das Angebot für den einheitlichen Preis regional sehr stark voneinander. Wie lassen sich solche Unterschiede, insbesondere zwischen Stadt und Land, aufbrechen?
Der Unterschied zwischen Stadt und Land ist in der ÖPNV-Struktur historisch und der Nachfrage nach öffentlichen Personenverkehr entsprechend gewachsen. Im städtischen Raum wurde das Verkehrsnetz gut ausgebaut, der öffentliche Personennahverkehr wird in Spitzenzeiten bis zur Kapazitätsgrenze genutzt. Im ländlichen Raum haben wir dagegen ein Grundangebot. Und dieses wird kaum genutzt, weil es nicht attraktiv genug ist, dass Leute es tatsächlich als Verkehrsmittelwahl-Alternative sehen. Daher muss auch der öffentliche Personenverkehr im ländlichen Raum attraktiver werden. Das ist aber nicht einfach. Dass jede Stunde ein Bus fährt, reicht nicht aus, um eine attraktive Alternative darzustellen. Es muss ein Bus sein, der auch ausreichend schnell ist, es muss ein wirklich zuverlässiger Takt sein usw. Nur dann lässt sich auch im ländlichen Raum etwas bewegen. Nur muss man dahin als erstes schauen? Ich hatte ja gesagt, dass bereits ein Drittel aller Autofahrten heute schon ersetzbar sind. Diese sind nicht zwingend im ländlichen Raum, sondern eher in Ballungsräumen, wo bereits ein gutes ÖPNV-Angebot besteht.
Wie kann die Mobilitätswende auf dem Land aussehen?
In der Stadt haben wir schon eine relativ klare Vision, wie diese aussehen wird: der multimodale Mix aus den Verkehrsmitteln des Umweltverbundes, die heute attraktiv oder sogar attraktiver sind als der Individualverkehr mit dem Auto. Im ländlichen Raum ist es schwieriger. Das heißt aber nicht, dass wir es dort lassen sollten. Auch hier muss die Infrastruktur ausgebaut und in Angebote investiert werden wie attraktive Busse, Verknüpfung unterschiedlicher Verkehrsmittel oder Ridesharing-Angebote. Ich glaube, im ländlichen Raum wird die Antriebswende eine höhere Bedeutung spielen, weil es viele Autofahrten geben wird, die nicht so einfach ersetzbar sind durch andere Alternativen wie im städtischen Raum. Und es gibt auch nicht die Vision, dass alle Personen im ländlichen Raum nur noch mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs sind. Ich glaube, dass wir zunächst sinnvolle und gute Alternativen schaffen müssen, um dann an die schwierigen Stellen ranzukommen.
Wäre ein vielfältigeres ÖPNV-Angebot ein Hebel für die Mobilitätswende?
Vielfältigkeit kann eine Rolle spielen, aber ist für mich erstmal kein Kriterium bei der Wahl eines Verkehrsmittels. Wir haben in Deutschland die lästige Tendenz zu sagen: Wir können im ÖPNV alles anbieten, solange man es auch mit einem normalen Bus und einer normalen Bahn machen kann. Das ist das klassische Denken. Dass nun die Diskussion aufkommt, vielfältigere Angebote zu machen, wie beispielsweise Ridesharing, ist wichtig, und auch etwas, das wir in anderen Ländern sehen. Ein zunächst ungewöhnlich erscheinendes Beispiel sind die Philippinen: Wenn ich mir dort das ÖPNV-Angebot anschaue, dann sehe ich Vielfalt. Da gibt es Busse, die fahren lange Distanzen. Es gibt kleinere Busse, die fahren kurze Strecken mit vielen Halten. Es gibt Busse mit und ohne Klimaanlage, es gibt eine Stadtbahn. Es gibt verschiedenste Ridesharing-Angebote und vieles mehr. Es ist ein sehr vielfältiges und differenziertes ÖPNV-Angebot. Und hier finde ich die Frage interessant: Können wir etwas aus Schwellenländern lernen? Vielleicht ist das etwas, über das wir mehr nachdenken müssen.
Messen Sie Ridepooling-Angeboten in Bezug auf die Mobilitätswende eine besondere Rolle zu?
Ich sehe für die Mobilitätswende nicht eine einzelne besonderes bedeutende Maßnahme, sondern die Kombination aus vielen. Wenn ich einer Sache aber eine besondere Rolle beimessen müsste, dann würde ich das Smartphone wählen, denn es ermöglicht, verschiedene Mobilitätsangebote leicht zu erkunden, Fahrpläne rauszufinden, Tickets zu kaufen, Angebote miteinander zu verbinden. Die Organisationsstärke eines Smartphones hat eine besondere Rolle.
Als Verkehrsökologe beschäftigen Sie sich vor allem damit, welche Folgen der Verkehr für Mensch und Umwelt hat. Welche Maßnahme im Bereich der Mobilität halten Sie für die aktuell dringendste, um einen nachhaltigen Effekt für die Mobilitätswende und damit auch für ein besseres Klima zu erzielen?
Damit wir wirklich im Klimaschutz erfolgreich sind, wäre für mich die konsequente Kombination des Handelns: Wir machen Sachen attraktiver und gleichzeitig die Alternativen, die wir nicht haben wollen, ein bisschen weniger attraktiv. Also Zuckerbrot und Peitsche. Das würde heißen, dass wir zum Beispiel an die städtischen Geschwindigkeiten rangehen. Wenn das Auto auf das Verkehrsniveau der anderen Verkehrsteilnehmer*innen auf 30 km/h runtergebremst werden würde, würde es ein bisschen seinen Schnelligkeits-Vorteil verlieren, weil sich dann die anderen Verkehrsmittel auch in einer ähnlichen Geschwindigkeit bewegen. Das könnte zur Folge haben, dass Radfahren attraktiver wird, der ÖPNV zuverlässiger wird und der Verkehr konstanter fließt. Ich glaube, das wäre ein wichtiger Schritt.
Die Zukunft der Mobilität ist ein vielschichtiges Thema. Welche Frage beschäftigt Sie diesbezüglich am stärksten?
Mich beschäftigt die Frage, wie wir Menschen zum Wechsel bzw. Umsteigen auf andere Verkehrsmittel bewegen und wie man sie beeinflussen kann? Bisher haben wir im Verkehrswesen häufig die Perspektive aus den Ingenieurswissenschaften eingenommen, aber verkannt, dass Verkehr ja eigentlich Verhalten ist. Das Verkehrsthema muss vielmehr ein sozialwissenschaftliches und psychologisches Thema werden.
Und wem würden Sie diese Frage gerne stellen?
Adressat dieser Frage wäre zum einen die Praxis, die immer noch stark durch die Perspektive der Ingenieurswissenschaften geprägt ist. Und zum anderen ist das eine Frage an den wissenschaftlichen Nachwuchs. Allerdings: Wir haben nicht genug Leute im Verkehrssektor, um die sich abzeichnenden Transformationsprozesse zu bewältigen. Wir haben zwar viele Förderprogramme, allerdings können die gegenwärtigen Gelder nicht abgerufen werden, weil einfach die personelle Kapazität fehlt, um die Konzepte zu planen und umzusetzen. Daher freuen wir uns über Jeden, der in diesem Bereich studiert, um den Fachkräftemangel zu beseitigen.
Zur Person: Dr. Jochen Eckart ist seit 2015 Professor an der Fakultät für Informationsmanagement und Medien an der Hochschule Karlsruhe und forscht am Baden-Württemberg Institut für Nachhaltige Mobilität. Seine Forschungs- und Lehrschwerpunkte liegen im Bereich der Verkehrsökologie, den Wechselwirkungen zwischen Verkehr und Umwelt. Zu seinen aktuellen Forschungsinteressen gehören: Lärmschutzplanung, wassersensibles Straßendesign, Klimaanpassung, Förderung von Fußgängern und Radfahrern sowie bedarfsorientierte Forschung durch Einbeziehung von Interessengruppen. Sein Fachwissen erstreckt sich auf die Disziplinen Umweltwissenschaft, Stadtplanung und Verkehrsplanung. Als Wissenschaftler hat er 2021 die SWR-Mitmachaktion #besserRadfahren und 2023 die ARD-Mitmachaktion #besserBahnfahren betreut.