Ein Interview mit Mobilitätsforscher PD Dr.-Ing. Martin Kagerbauer
PD Dr.-Ing. Martin Kagerbauer forscht am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) zu neuen Mobilitätsformen und Mobilitätsverhalten. Er begleitet mit dem KIT unser Projekt ALIKE, in dem wir gemeinsam mit der Hamburger Hochbahn und weiteren Partnern autonomes Fahren in Hamburg erproben. Kagerbauers Fokus liegt dabei auf der Untersuchung der Akzeptanzkommunikation und des Mobilitätsverhaltens von potenziellen Nutzenden.
Im Interview spricht er über die Entwicklungen der vergangenen zehn Jahre, die Bedeutung von Zeit, Kosten und Bequemlichkeit bei der Verkehrsmittelwahl und welche Chancen das autonome Fahren insbesondere für den öffentlichen Nahverkehr darstellt.
Herr Kagerbauer, Sie forschen seit Jahren zu Mobilitätsformen und Mobilitätsverhalten. Wie hat sich beides in den vergangenen zehn Jahren verändert?
Es gibt schon einen Trend, dass Leute etwas weniger das Auto nutzen und stattdessen mehr mit den öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs sind. Auch das Fahrrad wird mehr genutzt. Doch das Verkehrsverhalten der Menschen verändert sich sehr langsam. Das liegt zum einen am Verkehrsangebot, das zur Verfügung steht, und zum anderen an den Rahmenbedingungen: Wie viel kostet es? Wie bequem ist es? Wie lange dauert es? Dazu kommen die persönliche Einstellung und die persönlichen Vorlieben, die die Wahl des Verkehrsmittels beeinflussen.
Beobachten Sie, dass einer dieser Faktoren das Mobilitätsverhalten maßgeblich beeinflusst?
Nein, es ist vielmehr ein Mix aus sehr vielen Einflussfaktoren. Das macht die Analyse auch so schwer. Natürlich spielt Zeit eine größere Rolle, Kosten eher eine etwas kleinere Rolle. Viele Faktoren sind teilweise auch situationsabhängig, beispielsweise wenn man ein Gepäckstück transportieren oder ein Kind wohin bringen muss. Das, was man kennt, nutzt man üblicherweise häufiger als das, das man nicht kennt. Und wenn ein Verkehrsmittel keinen „Nutzen“ für jemanden darstellt, wird es auch gar nicht in Anspruch genommen.
Welche Rolle spielt die Mobilitätswende bei der Wahl des Verkehrsmittels?
Viele Menschen wissen, dass die Mobilitätswende notwendig ist, schon allein wegen der ganzen Umweltaspekte. Aber der Schritt vom Wissen bis zum Tun – das ist noch ein sehr großer. Wir sehen das am Beispiel der Fluggastzahlen: Wir wissen alle, dass Fliegen nicht das Beste für die Umwelt ist, aber die Flugzahlen gehen nach oben. Auch unter Berücksichtigung der Coronapandemie sind wir wieder auf dem Niveau wie früher. Man hat das Gefühl: Alle Menschen reden von Umweltschutz, aber in ihrem Handeln vergessen sie es dann wieder sehr schnell. Es sind die Routinen, die aufgebrochen werden müssen. Es braucht alternative Angebote, die bekannt und attraktiv sind. Diese Rahmenbedingungen zu schaffen, geht halt nicht von heute auf morgen.

Sie forschen zum Thema autonomes Ridepooling. Wie ist es hier um die Akzeptanz der Nutzenden bestellt?
Grundsätzlich ist die Einstellung gegenüber autonomer Technik sehr, sehr positiv. Wenn die Technik richtig funktioniert, ist es wichtig, dass die Menschen die Möglichkeit erhalten, sie auch – im wahrsten Sinne des Wortes – zu erfahren, also mal auszuprobieren. Läuft dann alles reibungslos, werden die Menschen begeistert sein – und es wird zu einem sehr schnellen Hochlauf kommen, weil das autonome Fahren sehr viele Vorteile mit sich bringt. Ich stelle fest, dass die Technik sich im Vergleich zu vor zwei Jahren extrem verbessert hat. Wenn wir in der Geschwindigkeit weitermachen, wird es relativ schnell erste Anwendungen geben.
Wird der öffentliche Nahverkehr vom autonomen Fahren profitieren?
Im ersten Schritt auf alle Fälle. Wir haben untersucht, wie sich das Verkehrsaufkommen und die Verkehrsleistung verändern, wenn man unterstellt, dass alle Fahrzeuge komplett autonom unterwegs sind. Dabei ist herausgekommen, dass sich der individuelle Verkehr erhöhen würde. Wenn wir jetzt unsere Verkehrssysteme anschauen, zeigt sich, dass man die Kapazitätsgrenzen längst erreicht hat. Das ist natürlich kontraproduktiv.
Sharing-Dienste, die das Teilen von Fahrten anbieten, haben dann einen positiven Einfluss auf ein nachhaltiges Verkehrssystem, weil so die Anzahl an Fahrzeugen auf den Straßen reduziert wird, obwohl die Mobilität der Menschen gleichbleibt. Daher denke ich, dass das autonome Fahren vor allem für öffentliche Verkehrsangebote einen größeren Impact haben wird – nicht nur in Metropolen, sondern vor allem auch im Speckgürtel oder in ländlicheren Bereichen. Es werden Alternativen zum Auto geschaffen, die dann auch einen Einfluss auf das Mobilitätsverhalten der Menschen haben werden.
Sie begleiten mit dem KIT das Projekt ALIKE, in dem MOIA gemeinsam mit der Hamburger Hochbahn und weiteren Partnern das autonome Fahren in Hamburg erprobt. Ihr Fokus liegt dabei auf Erhebungen zu Akzeptanz und Mobilitätsverhalten der (potenziellen) Nutzenden. Welche Erwartungen haben Sie an das Projekt ALIKE?
Ich habe die Erwartung, dass wir die Menschen vom autonomen Fahren begeistern werden und wir mit unserer Forschung entsprechend dazu beitragen. Wir analysieren, welche Hemmschwellen noch existieren, damit diese auch behoben werden können, um das autonome Fahren zu einem Baustein der Mobilität der Zukunft zu etablieren. Am Beispiel des ALIKE-Projekts wollen wir zeigen, dass das Fahrgefühl – ob mit Fahrpersonal oder ohne – keinen Unterschied macht und es das autonome Fahren vielfältig eingesetzt werden kann, vor allem im öffentlichen Verkehr.
Zur Person:
PD Dr.-Ing. Martin Kagerbauer ist Mobilitätsforscher am Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Seine Forschungsbereiche und -interessen sind Neue Mobilitätsformen, Erhebungen von Mobilitätsverhaltensdaten, Mikroskopische Modellierung der Verkehrsnachfrage im Personenverkehr sowie Mobilitätsforschung und Mobilitätsprognosen des Personenverkehrs. Seit 2018 ist er Mitglied der Institutsleitung, in nebenberuflicher Tätigkeit ist er als Geschäftsführer bei der Planungs- und Beratungsgesellschaft INOVAPLAN tätig.